Wenn Drachen in den Winterschlaf fallen, treten sie eine phantastische Reise in das Reich der Träume an. Diese Träume sind so schön und wunderbar, daß die meisten Drachen im Frühling gar nicht wieder aufwachen wollen und so geschieht es, daß sie manchmal ein ganzes Jahr, ja oft sogar viele, viele Jahre durchschlafen. Der Urdrache Sauros, so erzählen es sich die alten Drachen, soll einmal 1000 Jahre durchgeschlafen haben!
Als der kleine Drachen Emil in das Reich der Drachenträume hinüberschlummerte, war ihm, als schwebte er auf den Wolken. Mit einem Mal sah er eine liebe Bekannte vor seiner Nase hin und her tanzen und fröhliche Purzelbäume schlagen.
Es war eine Schneeflocke, aber nicht nur eine ganz gewöhnliche Schneeflocke, sondern die allererste, die ihm in seinem Drachenleben begegnet war.
„Was machst du denn hier?“ fragte Emil das kleine Eiswesen und ließ es behutsam auf seiner linken Drachenhand landen. Da Emil, wie alle Drachen, über scharfe Augen verfügte, konnte er das zarte Flöckchen riesengroß sehen. Es hatte die Form eines Sterns mit sechs Zacken und war durchsichtig wie ein Kristall.
„Wirf mich in die Luft!“ hörte Emil plötzlich eine weiche Stimme.
Der kleine Drachen blickte sich um, aber er konnte niemanden sehen.
„Wirf mich in die Luft!“ erklang es abermals.
Emil schaute auf die kleine Schneeflocke, die auf wundersame Weise gewachsen war. Es schien ihm, als sehe ihn ein Gesicht an.
„Du kannst sprechen?“ fragte Emil und stuppste die Schneeflocke in die Höhe. Doch anstatt zwischen den Wolken dahinzugleiten, flog der Eiskristall lustige Figuren und wuchs immer mehr. Aus den Sternenstrahlen bildeten sich Flügel und aus der Mitte der Schneeflocke formte sich ein lächelndes Gesicht. Dabei klirrten die Flügel des wundervollen Wesens wie kleine Eisplättchen, die am Ufer eines Sees angeschwemmt, aneinanderstießen.
Emil traute seinen Augen nicht: Vor ihm verwandelte sich die kleine Schneeflocke in einen Drachen aus Eis! Es gibt sie also doch, die Eisdrachen, dachte er.
„Natürlich gibt es uns!“ sagte nun das glänzende Wesen, welches unglaublich schön anzusehen war.
„Wie heißt du denn?“ fragte Emil.
Der Eisdrachen landete majestätisch neben ihm auf einer Wolke.
„Ich bin Prinzessin Finja.“
„Und ich bin Emil!“
„Ich weiß, ich kenne dich. Du wohnst mit deiner Mama im Sumpf.“
Emil war erstaunt.
„Woher kennst du mich?“
„Ich bin dir doch schon als Schneeflocke erschienen. Erinnerst du dich nicht?“
„Klar doch,“ sagte Emil, „aber ich kann kaum glauben, daß du dich von einer Schneeflocke in einen Eisdrachen verwandeln kannst.“
„Aber Emil, wir Drachen verfügen doch alle über magische Kräfte,“ erwiderte Prinzessin Finja.
Emil wurde traurig.
„Ich kann noch nicht einmal fliegen, und feuerspucken kann ich auch nicht.“
„Das ist doch nicht so schlimm, Emil, das lernst du alles noch. Sieh in dein Herz. Sieh tief hinein. Dann wirst du deine magischen Kräfte spüren.“
Prinzessin Finja strich mit ihren schillernden Flügeln über Emils Gesicht.
Was für ein schöner Traum, dachte der kleine Drachen und entschwand in ein Reich aus Wolken. Dort spürte er eine große Kraft in sich.