Klosterbruder Wolfgang

Nachdem Emil Arnstadt und das Revier des Adlers Rapax hinter sich gelassen hatte, gewahrte er im Norden eine noch größere Stadt – Erfurt! Mit kräftigen Flügelschlägen steuerte er direkt auf einen Berg zu, wo ein kleines Menschlein gerade damit beschäftigt war, in einem Schlammloch zu wühlen. Emil flog langsam und leise heran und setzte sich unbemerkt neben den Mann, der mit einem löffelartigen Stiel in der klebrigen Masse rührte.

Was machst du denn da?“, fragte Emil unumwunden und hatte völlig vergessen, dass er sich den Menschen nicht zeigen sollte.

Der Mann drehte sich um und schrie erschrocken auf: „Der Teufel!“

Nein, du irrst dich. Emil, ich heiße Emil.“

Der Mann schien verdutzt. „Du kannst sprechen?“

Natürlich, ich bin ein schlauer Drache.“

Also doch der Teufel, das böse Wesen!“

Nein, nein, nicht böse, gaaaaaaanz lieb, kannst du mir glauben. Aber sag, wer bist du?“

Ich bin Bruder Wolfgang, ein Mönch des Klosters hier.“

Und warum rührst du da im Schlamm herum?“

Bruder Wolfgang, der rasch Zutrauen zu dem großen grünen Fabelwesen gefasst hatte, lachte. „Das ist Mörtel, Emil. Ich baue an unserer neuen Basilika, einer Kirche, die hier auf dem Petersberg entstehen soll. Ich bin ein Maurer, ein Arbeiter auf der Baustelle unseres Herrn, des allmächtigen Gottes.“

Hoffentlich schimpft der nicht, wenn ich dich hier von der Arbeit abhalte?“

Nein, nein, ich mache jetzt erst einmal eine Pause. Doch sag, wo kommst du her?“

Als ob Emil seine Geschichte nicht schon ein Dutzend Mal erzählt hätte, so berichtete er nun Bruder Wolfgang von seiner Mama im Sumpf, dem Rabenrat und den Freunden, die er bisher kennengelernt hatte.

Weißt du vielleicht, wo der Sumpf ist? Ich möchte meinen Mama so gern wiedersehen.“

Bruder Wolfgang schüttelte betrübt den Kopf, er kannte kein tiefes schlammiges Moor. Dann besah er sich unseren kleinen Drachen ganz genau. „Sag mal, Emil, du bist doch bestimmt ganz schön stark?“

Na klar doch“, entgegnete unser kleiner Drache und reckte sich, um zu zeigen, wie groß und stark er war.

Ich bin heute allein auf der Baustelle, zum Glück für dich und zum Glück für mich. Hier vorn liegt ein großer Stein, ein sogenannter Schlußstein, der müsste dort oben im Deckengewölbe eingesetzt werden, aber niemand vermochte dies bisher. Kannst du ihn mit deinen Krallen packen und ihn fliegend einsetzen?“

Nichts leichter als das, Bruder Wolfgang!“

Kaum hatte der Klosterbruder ihm den Stein gezeigt, da hatte Emil ihn auch schon wie einen Krümel in die Luft gehoben. Er flog mit ihm davon und setzte ihn an der genannten Stelle ein.

Bruder Wolfgang war begeistert. „Zu schade, dass du nicht immer hier bleiben kannst, denn ich befürchte, meine Brüder würden deine Anwesenheit nicht so lustig sehen wie ich. Sei es wie es sei, du hast etwas gut bei mir und wenn du einmal nicht weiter weißt, so komm einfach hier auf den Berg geflogen und rufe nach mir.“

Mit diesen Worten schlossen unser Emil und der Klosterbruder Freundschaft.

Bruder Wolfgang kam am folgenden Tag zwar in schwere Erklärungsnot, aber er behauptete einfach, ein Engel sei ihm erschienen und hätte den Stein oben im Gewölbe eingesetzt. So wurde aus dem anfänglichen Teufel ein Engel.